Donnerstag, 17. Juni 2010

3. Rundbrief

Nachdem wir in unseren vorherigen Rundbriefen immer ein Thema vorgegeben hatten, darf ich mich in diesem Rundbrief austoben und über ein Thema meiner Wahl schreiben. Eigentlich liegen mir, nach nun einem dreiviertel Jahr, ziemlich viele Thema auf dem Herzen, jedoch gib es ein Thema mit dem ich auf Grund meines Projektes immer wieder konfrontiert werde, und dass sind „ Behinderte Menschen in Nicaragua“.


Immer wieder habe ich das Gefühl dass es in Nicaragua mehr behinderte Menschen als in Deutschland gibt. Eine richtige Erklärung habe ich dafür nicht, aber es könnte daran liegen dass ich so gut wie jeden Tag mit den Kinder in meinem Projekt zu tun
habe und so eine offeneres Auge entwickelt habe.
Tatsächlich könnte es aber auch daran liegen dass es tatsächlich mehr Menschen gibt die eine körperlich und geistige Einschränkung haben. Die Gründe dafür liegen wahrscheinlich Tiefer , doch ich versuche ein paar Beispiele zu nennen wie es zu meiner Vermutung kommt. Viele Menschen in Nicaragua haben kein Geld um sich teuer Behandlungen oder ärztliche Eingriff leiten zu können, so kann bei einer Geburt zum Beispiel kein Kaiserschnitt durchgeführt werden oder ein Kind dass mit Wasserkopf zur Welt kommt wird nicht behandelt. Schwere Krankheiten die in Deutschland schon frühzeitig festgestellt werden, kommen in Nicaragua meist erst wenn es schon zu spät ist zum Vorschein.Weitere Gründe sind dass viele Kinder die meiste Zeit auf der Straße verbringen und nicht selten in Kontakt mit Drogen kommen, ein großes Problem ist das Kleber schnüffeln was die Kinder oft geistlich total ruiniert.Außerdem habe ich von zwei Fällen gehört, wo es durch einen alkoholisierten Vater öfter zu harter Gewalt in den Familien kam so das Frau und Kinder geschlagen wurden, bei den Kindern war die Folge dass sie durch Schläge auf den Kopf geistig Behindert sind oder durch Verstümmlung des Genitalbereich unfruchtbar wurden. Blinde Menschen gibt es vermehrt in kleinen Dörfern auf dem Land, da dort Inzucht keine Seltenheit ist und diese sich oft auf die Augen der daraus resultierenden Kinder auswirkt. Bei Erwachsenen kommt es öfter zu Arbeitsunfällen als in Deutschland, da mehr Menschen körperliche Arbeiten voll richten und es keine klaren Gesetze für Arbeitsbedingungen gibt. In meiner Schule, der einzigen öffentlichen Schule in Matagalpa für behinderte Kinder oder „ninos especiales“ wie sie hier genannt werden, wurde mir erzählt dass behinderte Menschen oft nicht so eine große Aufmerksamkeit genießen würden und kein gesellschaftliches Ansehen hätten. Doch habe ich viele Dinge erlebt die diese Aussage widerlegen. Oft habe ich in meiner Schule erlebt wie die gesunden Kindern den kranken Kinder helfen und sich genauso Freundschaft bilden wie an jeder anderen Schule in Nicaragua auch. Manchmal habe ich das Gefühl dass die Kinder noch mehr integriert sind wie in Deutschland. Oliver, der blinde Junge mit dem ich Arbeite, wird oft von anderen Kindern über den Schulhof geführt und bekommt von seinen Freunden Dinge gezeigt die er normalerweise nicht wahrnehmen könnte. Ein anderer Junge der im Rollstuhl sitzt wird quer durch die ganze Schule gefahren und ist alles andere als ausgeschlossen. Ein besonders beeindruckendes Erlebnis für mich war eine Parade für alle Schulen der Stadt an der auch meine Schule teilnahm. Lange hatten wir uns auf dieses Ereignis vorbereitet und zogen mit Plakaten durch die Straßen um unsere Schule zu repräsentieren. Für die Parade hatte ich ein T-Shirt der Schule geschenkt bekommen und durfte mit jeweils einem Behinderten Kind an jeder Hand mitgehen. Für die vielen Leute die am Rand standen und zuschauten muss ich wohl wie ein riesiger Baum gewirkt haben der aus dem ganzen kleinen Chaos auf der Erde herausragt. Jedenfalls war ich überrascht dass wir die einzige Schule waren die von Passanten am Rand beklatscht wurden um den Kinder eine Art von zu Respekt zu zeigen. In diesem Moment wurde mir klar dass die Leute, nicht wie mir vorher gesagt wurde, gegen behinderte Menschen sind, sondern dass sie auch hier als Teil der Gesellschaft angesehen werden.

Bei den Eltern der Kinder meiner Schule gibt es wie in Deutschland große Unterschiede. Es gibt die Eltern die sich um ihre Kinder kümmern und die die ihre Kinder mehr oder weniger sich alleine überlassen. Jedoch denke ich dass Eltern es schwerer als in Deutschland haben. Es gibt viele Hindernisse die es nicht einfacher machen. So schiebt zum Beispiel eine Mutter ihren 19 jährigen Sohn, der auch noch groß gewachsen ist, fast durch die ganze Stadt, obwohl die Straßen kaputt sind und es viele Berge gibt. Doch zur Erleichterung vieler baute die Stadt Matagalpa vor ungefähr 3 Monaten überall an die Bürgersteige Rampen für Rollstuhlfahrer.
Ein anderes Problem ist dass viele Menschen kein Auto haben und so muss ein Vater seinen im Rollstuhl sitzenden Sohn immer mit dem Motorrad zu Schule fahren, was eine schwierige und gefährliche Angelegenheit ist.

Manche Eltern sehen zudem keine Perspektive darin ihre Kinder ausbilden zu lassen, da es in Nicaragua ohnehin schon wenig Arbeit gibt und so kaum eine Perspektive besteht. Oliver ist zum Beispiel der einzige blinde Junge in meiner Schule, andere blinde Kinder werden meist gar nicht zur Schule geschickt. Wahrscheinlich wäre es besser wenn es an meiner Schule eine ganze Klasse für Blinde geben würde, da für die Blindenschrift ein ganz anderer Unterricht benötigt wird. Immer wieder ist mir bewusst geworden wenn ich nicht mit Oliver arbeiten würde, würde es keiner machen und so hätte er die Blindenschrift nie gelernt. Zu Hause sitzt er laut der Lehrerin nur herum, erst jetzt hat er mit mir auf dem Schulhof gelernt wie man einen Blindenstock benutzt und kann nun schon selbstständig durch die Schule laufen. Auch in der Schule würde er wohl nur herum sitzen wäre kein Freiwilliger da, die Lehrerin ist meist schon mit den anderen Kinder beschäftigt, die sie in Gruppen aufteilen kann. Oliver passt da leider in keine Gruppe, da eine andere Förderung nötig ist, die er im Moment nur durch mich bekommt. Oft wünsche ich mir dass Oliver's Eltern ihr Kind unterstützen würden, aber meist sitzt er nur
in seinem Wohnzimmer und darf dem Fernseher zuhören, obwohl er ein aufgeweckter Junge ist, der viele Frage an die Welt stellt.

Ein Geschichte die mich sehr zum Nachdenken gebracht hat, war eine Geschichte die in meiner Klasse passiert ist.Luisa ist 22 Jahre und somit älter als ich, sie geht noch zur Schule da sie erst sehr spät eingeschult wurde. Sie hat eine geistige Behinderung und ist ein sehr fröhlicher Mensch, der einem gerne etwas zu erzählen hat. Walter (18 Jahre) ein weiterer Junge meiner Klasse hat auch eine geistige Behinderung und ist eher der ruhige Typ, der trotzdem immer gerne lacht. Walter und Luisa saßen oft nebeneinander und haben miteinander gespielt. Nach länger Zeit wurde auch mir bewusst dass die beiden sich in einander verliebt hatten. Ich erzählte meiner Lehrerin davon und sagte auch wie schön ich es fände dass die beiden sich gefunden hätten.Mit dieser Meinung stand ich wohl alleine da, meine Lehrerin machte mir sofort klar dass sie es nicht toll fände und dass sie schon mit den Eltern gesprochen hätte die das genau so sehen würden. Ich war verunsichert und wusste auch nicht richtig wie es in einem solchen Fall in Deutschland aussehen würde, also sagte ich nichts. Eine Woche nach unserem Gespräch erwischte meine Lehrerin die beiden beim Küssen, sofort wurde der Direktor informiert und Walter nach Hause geschickt. Nach diesem Tag habe ich noch einmal versucht mit meiner Lehrerin zu sprechen, sie hatte Verständnis und lud die Eltern der beiden zu einem Gespräch ein. An dem vereinbarten Termin kam keiner der Eltern, deshalb versuchten wir es mit einem zweiten, doch schon wieder war niemand da. Walter ist nun wieder in der Schule und versteht sich gut mit Luisa, trotzdem wird immer ein Auge auf die beiden geschmissen, zumindest von Seiten der Lehrerin. Was aus den beiden weiter wir weiß ich nicht, aber es sieht nicht gut aus ,im konservativen Matagalpa, für die Beiden. Insgesamt kann ich sagen dass es noch viel zu entwickeln gibt, im Punkt Behinderte, aber ich glaube Nicaragua ist auf einem guten Weg.

Zum Ende noch vielen Dank für die tollen Spenden, die Kinder haben sich sehr gefreut!!

Euer Tim